Kommt es zum Unfall, gestaltet sich der eigenständige Notruf aufgrund von Verletzungen und Überforderung häufig schwierig. Dabei entscheiden in vielen Fällen wenige Minuten über Leben und Tod. Infolgedessen fährt seit dem 31. März 2018 ein elektronischer Schutzengel in allen Neuwagen mit.
Das bordeigene System eCall kontaktiert im Moment des Aufpralls den Notruf und führt die Retter schnellstmöglich zum Unfallort. Nach Schätzungen der EU-Kommission verringert sich die Zahl der Unfalltoten damit um bis zu zehn Prozent. Erfahre hier alles rund um Funktionen, Pflichten und Probleme beim eCall.
1. Der eCall in Kürze
Seit Ende März ist die serienmäßige Ausrüstung aller Neuwagen mit dem Notrufsystem eCall Pflicht. Das hat die Europäische Union in ihrer Verordnung 2015/758 für alle neuen PKW und leichten Nutzfahrzeuge beschlossen. Für Autolenker gilt es, sich mit dem System auseinanderzusetzen, das laut EU-Kommission in ganz Europa für bis zu zehn Prozent weniger Unfalltote sorgen wird.
Der eCall, kurz für Emergency Call oder Notruf, ist ein europaweit funktionierendes System, das im Fall eines Unfalls Sprachverbindung und Kontakt zur 112 und der nächstgelegenen Rettungsstelle herstellt. Über Mobilfunk und Satellitenortung übermittelt eCall wichtige Daten zu Fahrzeug, Insassen, Standort und dem Auslöser, der Rückschlüsse auf die Art des Unfalls zulässt. Durch den automatisch abgesetzten Notruf, der aber auch manuell ausgelöst werden kann, verstreichen nicht länger wertvolle Minuten bis zum Notruf – ein Umstand, der Leben rettet.
2. Die Ziele des eCall-Systems
Im Jahr 2016 starben in ganz Europa 25.500 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr, 135.000 wurden schwer verletzt. Trotz der seit einigen Jahren rückläufigen Quoten verloren 2017 allein in Österreich 413 Menschen bei Verkehrsunfällen ihr Leben. Von der angestrebten Vision Zero, einer Welt ohne Verkehrstote und Schwerverletzte, sind europäische Straßen also weiterhin weit entfernt.
Die EU hatte aus diesem Grund bereits für Oktober 2015 die Einführung des automatisierten Notrufsystems eCall geplant. Damals scheiterte sie jedoch an den Protesten von Datenschützern. Mit der jetzt stattfindenden, flächendeckenden Durchsetzung verfolgt die EU folgende Ziele:
- Europaweite Senkung von Todesfällen um 2.500 im Jahr
- Schnellere und effektivere medizinische Hilfe bei Unfällen
- Reduktion der Schwere von Unfallfolgen um bis zu 15 Prozent
- Senkung von Reaktionszeiten um bis zu 50 Prozent in ländlichen Gebieten und 40 Prozent in der Stadt
In abgelegenen oder weniger besiedelten Gebieten dauert es häufig lange, bis potenzielle Ersthelfer auf einen Unfall aufmerksam werden. Insassen eines verunglückten Fahrzeugs sind aus Gründen wie Bewusstlosigkeit, Verletzung oder Überforderung nicht immer selbst in der Lage, einen Notruf abzusetzen. Durch einen automatisierten eCall würde die Reaktionszeit der Rettungskräfte auf ein Minimum herabgesetzt und Hilfe für Verletzte wäre wesentlich schneller zur Stelle.
Erste Hilfe trotz eCall: Obwohl eCall schnellstmöglich Hilfe anfordert, sind Autofahrer zu Erster Hilfe verpflichtet. Zum einen werden auch nach dem 31. März nicht alle Wagen mit eCall-Funktion ausgerüstet sein, da die Verpflichtung zum Einbau nur für Neuwagen gilt. Zum anderen hast Du selbst bei eCall-fähigen Fahrzeugen Maßnahmen wie eine Absicherung der Unfallstelle oder Hilfe für Verletzte zu ergreifen.
3. Wie funktioniert der eCall?
Der eCall ist als sogenanntes „schlafendes“ System angelegt, das erst durch Feedback der Crash-Sensoren oder bei manueller Auslösung eine Mobilfunkverbindung herstellt. Der Notruf ist beispielsweise auch durch andere Verkehrsteilnehmer auszulösen, die einen beobachteten Unfall melden wollen. Daraufhin wird die nächstgelegene Notrufzentrale unter der einheitlichen Nummer 112 kontaktiert.
Die manuelle Auslösung kann durch Fahrer oder Insassen auch dann erfolgen, wenn kein eigentlicher Verkehrsunfall stattgefunden, sondern sich ein schwerer medizinischer Notfall ereignet hat. Damit der eCall effektiv funktioniert, verfügen Neuwagen über folgende Ausstattungsmerkmale:
- GPS-Empfänger zur genauen Bestimmung der Position
- Steuergerät zur Standortmeldung
- GSM-Antenne zum Absetzen des Notrufs
- eCall-Steuerung zur Erfassung der Daten und zum Verbindungsaufbau
- Freisprecheinrichtung zur Kontaktaufnahme mit Insassen
- Notstromversorgung zur Abdeckung eines Batterieausfalls
- Schalter zum manuellen Absetzen des Notrufs
- Kontrollleuchte zur Erkennung der Funktionsfähigkeit des Systems
- Rettungskarte mit genauen Informationen zum Fahrzeug
- Crash-Sensor zur Einordnung der Unfallbedingungen
Neben der Ausstattung zur Übermittlung der Position sind es vor allem die im Fahrzeug verbauten Crash-Sensoren, die wichtige Daten zum Unfall liefern. Sie lassen Rückschlüsse auf Art und Schwere des Unfalls zu, indem sie beispielsweise das Auslösen des Airbags vermerken. Durch die übersandten Daten sind Rettungskräfte schon beim Eintreffen auf die Bedingungen vor Ort vorbereitet. Zur zusätzlichen Ausstattung gehört idealerweise eine Taste zum Rufen des Pannendienstes.
Ist es möglich, eCall zu deaktivieren?
Eine Deaktivierung des eCall ist nicht vorgesehen und durch die tiefergehende Verbindung mit den internen Systemen nahezu unmöglich. Angesichts der Pflicht zum Vorhandensein bei Neuwagen wäre die Möglichkeit zum schlichten Abschalten auch eine eher hinderliche Funktion. Da eCall Bestandteil der Typenzulassungsprüfung ist, würde das Fahrzeug mit der Entfernung sogar seine Betriebserlaubnis verlieren und die Teilnahme am Straßenverkehr würde somit unzulässig. Bei der Entdeckung, beispielsweise nach einem Unfall, droht zudem der Entzug des Versicherungsschutzes.
4. Welche Daten werden übermittelt?
Damit die Rettungshelfer die Unfallstelle lokalisieren und auf Basis möglichst vieler Informationen in der Lage sind, die Situation schon im Vorfeld einzuschätzen und die bestmögliche Hilfe zu leisten, übermittelt der eCall alle relevanten Daten. Wird der elektronische Notruf automatisiert oder durch die manuelle Betätigung einer Taste ausgelöst, so werden in jedem Fall folgende Informationen weitergeleitet:
- Fahrzeugposition: geographische Länge und Breite sowie die letzten beiden Fahrzeugpositionen nach Längen- und Breitengradunterschied zur aktuellen Position
- Steuerungsdaten: automatisierte oder manuelle Auslösung, Kennung als Test oder Notruf, Fahrzeugklasse, Positions-Verlässlichkeitsbit
- Zeitpunkt des Unfalls und Fahrtrichtung
- Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN): 17-stellige Nummer zur eindeutigen Identifizierung eines Fahrzeugs nach ISO 3779
- Art des Antriebs: Elektro, Diesel, Benzin oder Gas
- Anzahl der Insassen: nach der bekannten Zahl angelegter Gurte
Eine Aktualisierung der Daten, beispielsweise bei einem Halterwechsel, ist derweil nicht nötig, da die bordeigene eCall-Technik keine Speicherung von Daten zum Fahrer oder Halter vornimmt.
Wer wird durch eCall informiert? Daten werden von eCall nach einem Unfall nur an die Rettungsleitstelle übermittelt! Der Hersteller des Autos erfährt die Daten nur, wenn der Halter diesen Vorgang bewusst auslöst.
5. eCall und Datenschutz: die Debatte
Per Regelung der Europäischen Union haben die Hersteller zu garantieren, dass die eCall-Technologie in jedem Fall mit der vollständigen und andauernden Löschung aller erhobenen Daten einhergeht. Eine Weitergabe durch die Notdienste an Dritte ist ohne die ausdrückliche Zustimmung der Fahrzeuginhaber verboten.
Durch seine Eigenschaft als schlafendes System ist die Position von Fahrzeugen mittels eCall nicht zu verfolgen, es überträgt Daten nur bei einem tatsächlichen Verkehrsunfall. Kritikern zufolge ebne die Technik allerdings den Weg zum “gläsernen Autolenker”, da sich die strengen Datenschutzbestimmungen der EU ausschließlich auf das eCall-System beziehen.
Vor allem Hersteller und Versicherer zeigen bereits jetzt großes Interesse an den erhobenen Informationen. In den kommerziellen Zusatzdiensten wird eine große Gefahr gesehen, die mit Einführung von eCall zum Datenschutz einhergeht. Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung der Fahrzeughalter ergeben sich, da es erlaubt ist, dass die Zusatzdienste im Gegensatz zu eCall ständig mit dem Netz verbunden sind. Halte Dich daher an ein reines eCall-System, um diesen Risiken möglichst effektiv zu entgehen.
Forderungen des Automobilclubs ÖAMTC
In der Debatte erhofften sich Datenschützer aber auch Österreichs größter Automobilclub mehr Regulierungen zu eCall und Datenschutz. Der ÖAMTC trifft dazu folgende Aussagen:
eCall ist ein passives System, das nur im Notfall aktiv wird. Den Herstellern wurde jedoch erlaubt, in ihre Autos statt dem gesetzlich vorgeschriebenen „Basis“-eCall auch eigene, leistungsfähige Datenübertragungs-Systeme einzubauen. Diese können deutlich mehr als nur automatische Notrufe abzusetzen. Solche Systeme sammeln – oft ohne Wissen der Fahrzeughalter – rund um die Uhr Daten und senden sie an die Hersteller. Diese verkaufen diese Daten dann an Werkstätten und Versicherungen weiter. Entscheidend ist, dass Verbraucher detailliert Kenntnis über die Art des Datenaustausches erhalten und diesem auch aktiv zustimmen. Fahrzeugbesitzer haben nicht nur Anspruch auf Datentransparenz, sie müssen zudem auch frei wählen können, ob und wem welche Daten zur Verfügung gestellt werden.
Bernhard Wiesinger, Leiter ÖAMTC-Mitgliederinteressen
6. Muss ich mein Auto mit eCall nachrüsten?
Für Gebrauchtwagen besteht prinzipiell keine Pflicht zum eCall nachrüsten, da die Gesetzgebung lediglich Neuwagen betrifft. Wer jedoch nicht auf die Vorteile eines Systems zum automatischen Notruf verzichtet, findet auf dem Markt zahlreiche andere Notrufsysteme. Diese lassen sich in der Regel leicht über den Zigarettenanzünder oder eine OBD2-Schnittstelle verbinden.
OBD2: Die On-Board-Diagnose (OBD) kontrolliert alle Systeme und gibt beispielsweise bei Reparaturen Auskunft über alle wichtigen Werte. Seit 2004 verfügen alle europäischen Neuwagen über OBD2. Die Schnittstelle bietet nicht nur verlässliche Daten, etwa über Abgase oder Verbrennungsaussetzer, sondern kann auch zum Anschluss automatischer Notrufsysteme verwendet werden.
Einige der Lösungen sind mit hohen Mehrkosten verbunden, andere melden schon kleinere Unfälle dem Versicherer. Vergleiche Kosten sowie Vor- und Nachteile immer genau. In der folgenden Übersicht findest Du einen Vergleich der wichtigsten Eigenschaften von eCall, dem Unfallmeldedienst der Allianz Versicherung und automatischer Notrufsysteme. Diese unterscheiden sich besonders in Anschaffungs- und Haltungskosten von Anbieter zu Anbieter.
eCall
- Anschaffungskosten: keine
- Haltungskosten: Herstellerabhängig
- Übertragungsart: SIM
- Voraussetzungen: Galileo und GSM, Antenne, Steuergerät
- Manueller Notruf: Ja
- Vertragsbindung: Nein
- Nutzer: 1
Allianz Drive
- Anschaffungskosten: keine
- Haltungskosten: monatlich 9,90 €
- Übertragungsart: Bluetooth
- Voraussetzungen: Zigarettenanzünder (12 Volt), Smartphone-App
- Manueller Notruf: Ja
- Vertragsbindung: Nein
- Nutzer: 1
Automatischer Notruf
- Anschaffungskosten: zwischen 119 und 1000 €
- Haltungskosten: Jahresbeitrag zwischen 0 und 80 €
- Übertragungsart: Bluetooth
- Voraussetzungen: OBD2-Schnittstelle, Smartphone-App
- Manueller Notruf: Meistens
- Vertragsbindung: Teilweise
- Nutzer: 1 - unbegrenzt
System / Merkmal | eCall | Allianz Drive | Automatischer Notruf |
---|---|---|---|
Kosten für Anschaffung | keine | keine | zwischen 119 und 1000 € |
Haltungskosten | herstellerabhängig | monatlich 9,90 € | Jahresbeitrag zwischen 0 und 80 € |
Übertragungsart | SIM | Bluetooth | Bluetooth |
Voraussetzungen | Galileo und GSM, Antenne, Steuergerät | Zigaretten- anzünder (12 Volt), Smartphone-App |
OBD2-Schnittstelle, Smartphone-App |
Manueller Notruf | Ja | Ja | meistens |
Vertragsbindung | Nein | Nein | teilweise |
Nutzer | 1 | 1 | 1 - unbegrenzt |